Duygu Bolat

„Karate hilft dir, über dich selbst hinauszuwachsen“

Ihr Vater, selbst Weltmeister, schmiedete aus dem SC Banzai einen der erfolgreichsten Karatevereine Deutschlands. Seine Tochter tat es ihm gleich: Duygu Bolat stand jede freie Minute auf der Trainingsmatte in Berlin-Kreuzberg – und gewann etliche große Titel.

Duygu Bolat, geborene Bugur, kam am 13. Juni 1991 in Berlin zur Welt. Nach dem Abitur am Beethoven-Gymnasium Berlin schloss sie ein Studium der Betriebswirtschaftslehre (M.Sc.) an der Humboldt-Universität zu Berlin ab. Sie ist eine der erfolgreichsten Karateathletinnen in Deutschland und Tochter des Doppelweltmeisters Veysel Bugur. Sie ist Mitglied im Deutschen und Berliner Karateverband, Coach und Karatetrainerin im Verein SC Banzai. Stationen ihrer Sportkarriere: Mitglied der deutschen Karate-Nationalmannschaft von 2009 bis 2018, mehrfache Deutsche Meisterin, mehrfache Platzierungen auf Europa- und Weltmeisterschaften. Vizeeuropameisterin 2017, Vizeweltmeisterin 2011 und 2014. Bolat wurde mehrfach als Sportlerin des Jahres der HU Berlin ausgezeichnet und errang in den Jahren 2015 und 2017 den zweiten Platz bei der Wahl der Sportlerin des Jahres in Berlin.
Ich war nun Vizeweltmeisterin. Und so deprimiert, dass ich am liebsten aus der Halle gerannt wäre.

Bremen, 2014. Die Karate-Weltmeisterschaft vor heimischem Publikum. Ich hatte hart trainiert für dieses Turnier. Ich kämpfe in der Kategorie bis 50 Kilogramm, sie stand als Letztes auf dem Programm. Auf mir ruhten die Hoffnungen des Nationalteams: Sosehr sich die deutschen Kämpferinnen und Kämpfer auch angestrengt hatten, keiner und keine hatte es geschafft, sich für die Finalrunde am nächsten Tag zu qualifizieren. 

Bei mir lief es glänzend. Einen Kampf nach dem anderen absolvierte ich, gegen die Besten der Welt, einen Kampf nach dem anderen gewann ich. Bald stand ich im Halbfinale, gegen die französische Doppelweltmeisterin. Die Zuschauer feuerten mich an. 

Ich war 23. Seit 15 Jahren hatte ich hart trainiert. Und immer hatte ich dieses eine Ziel: Ich wollte es meinem Vater gleichtun und einmal in meinem Leben Weltmeisterin werden. 

Er heißt Veysel Bugur, in der Welt des Karate kennt ihn jeder. Er kam als Schüler nach Berlin, trat dort in einen Karateverein ein und gewann unzählige Titel. Später hat er den SC Banzai übernommen, in Kreuzberg, und zum wohl erfolgreichsten Karateverein in Deutschland gemacht. Dort, in einer Fabriketage im fünften Stock, habe auch ich trainiert und meine halbe Jugend verbracht. Bewegen, schlagen, stoßen, treten, fallen. Immer wieder. 

Lassen Sie mich kurz erklären, was wir da machen. Karate, die „leere Hand“, die waffenlose Selbstverteidigung, stammt aus Japan. Es gibt zwei Wettkampfformen: Kata, bei dem Technikreihenfolgen vorgeführt werden, eine Art Schattenkämpfen, und Kumite, bei dem du gegen eine Gegnerin kämpfst. Das mache ich. Kumite kann mit Boxen, Taekwondo oder Judo verglichen werden. Aber im Unterschied zum Boxen triffst du deine Gegnerin nur leicht. Du trägst Mund-, Hand- und Fußschutz und versuchst, mit schnellen, starken, kontrollierten Faust- und Fußtechniken deine Gegnerin an Kopf oder Bauch zu treffen. 

Triffst du sie mit dem Fuß am Kopf, bekommst du drei Punkte, mit dem Fuß am Bauch – zwei Punkte. Wenn du deine Gegnerin zu Boden fegst, erhältst du drei Punkte, wenn du sie mit den Fäusten leicht an Kopf oder Bauch triffst, jeweils einen Punkt. Nach drei Minuten ist der Kampf vorbei. 

Es geht um Technik, Schnelligkeit, Ausdauer, um das blitzschnelle Erkennen einer Lücke in der Verteidigung. Karate ist kein Vollkontaktsport. Blutet deine Gegnerin, wirst du ermahnt, bei drei Ermahnungen fliegst du aus dem Turnier. Das passiert allerdings nur selten. Du bist es gewohnt, deine Schläge und Tritte so abzustoppen, dass sie keinen Schaden anrichten. Beim Fußball verletzen sich mehr Menschen. 

Zu allen großen Turnieren hat mich mein Vater begleitet. Er stand dann hinter mir und hat mich gecoacht, mit all seiner Erfahrung. Er sieht alles, er hat das perfekte Auge, er sieht jede Lücke in der Verteidigung meiner Gegnerin. So auch in Bremen. Ich hörte hinter mir seine ruhige Stimme. 

Das Halbfinale gegen die amtierende Weltmeisterin lief gut: Ich war im Flow, mir gelang alles, ich war schnell und konzentriert und treffsicher. Die Halle stand hinter mir. Ich hatte mehrfach gegen die Französin verloren, aber an diesem Tag habe ich sie geschlagen und stand im Finale. Freudentränen schossen mir in die Augen. Mein Traum war nur noch einen Sieg entfernt. 

Hätte das Finale an diesem Tag stattgefunden, ich hätte es gewonnen und wäre Weltmeisterin geworden. Da bin ich ganz sicher. Ich brauche den Schwung meiner Siege, die Euphorie der Zuschauer, dann wachse ich über mich hinaus. Leider war das Finale erst am nächsten Tag. 

Wir fuhren ins Hotel. Ich habe gut geschlafen, ich schlafe immer gut vor Wettkämpfen, während andere wach liegen vor lauter Aufregung. Überhaupt bin ich mental recht stark. Vielleicht liegt es daran, dass ich bei allem Ehrgeiz auf dem Teppich bleibe. Ich habe mir immer gesagt: Bleib locker, hab Spaß, verkrampf nicht. Natürlich gibt es Tage, an denen man sich Druck macht, aber all meine wichtigen Medaillen habe ich geholt, wenn ich entspannt und positiv auf die Matte trat.   
Bei uns gibt es viele Sportlerinnen, die bedeckt trainieren. Das hat nichts damit zu tun, dass ihre Familien besonders religiös oder streng sind. Nein, es ist ihre Entscheidung, und es ist ihr gutes Recht. Jede soll sich so kleiden, wie sie will.
Der nächste Tag. Meine Gegnerin hieß Serap Özçelik. Wie schön: Zwei Türkinnen aus zwei Ländern standen sich im WM-Finale gegenüber. Auch sie kannte ich von vorherigen Wettkämpfen, sie war stark und schnell und hatte eine perfekte Deckung.

Und nun war mein erster Kampf gleich das Finale. Es lief nicht gut. Ich verlor klar mit 5:1. 

Die ersten Minuten nach dieser Niederlage waren schlimm, wirklich schlimm. Ich war so kurz davor gewesen, mein Ziel zu erreichen. Würde so eine Chance jemals in meinem Leben wiederkommen? 

Bei der Siegerehrung habe ich versucht zu lächeln, aber meine Mundwinkel zitterten. Für die Fotografen wollte ich mich freuen, aber es gelang nicht. Mit aller Kraft bemühte ich mich, die Tränen zurückzuhalten. Es ist ein Bild, das man von vielen Siegerehrungen kennt: Die Dritte ist happy und lacht, sie hat ihren letzten Kampf gewonnen. Aber die Zweitplatzierte muss sich ziemlich zusammenreißen. 

Wobei. Verlieren gehört nun einmal zum Sport dazu. Du musst damit umgehen können, du musst dich wieder aufrappeln. Bei mir hat es ein paar Tage gedauert. Dann setzte die Freude ein über das, was ich erreicht hatte. 

Die deutsche Geschichte meiner türkischen Familie begann damit, dass meine Oma 1968 nach Berlin kam, um hier im Krankenhaus zu arbeiten. Ein Jahr später holte sie ihren Mann und die Kinder nach. Mein Vater Veysel ging damals in die vierte Klasse, und wie alle Kinder, die neu in einem fremden Land sind, musste er sich erst mal durchkämpfen, musste die Sprache lernen, Freunde finden, sich zurechtfinden in der neuen Stadt. Seine Eintrittskarte in die deutsche Welt war der Sport. 

Denn mit zwölf ging er zu seinem Vater und fragte ihn, ob er Boxen lernen dürfe. Sein Vater war von der Idee gar nicht begeistert, erkundigte sich bei Arbeitskollegen und die rieten zum Karate, das sei die elegantere Form des Kämpfens. Und so trat mein Vater in den SC Banzai ein und trainierte jede freie Minute. 

1981, mit 16, wurde er zum ersten Mal Deutscher Meister. Aber in das deutsche Nationalteam wurde er nicht berufen, denn er hatte keinen deutschen Pass. Nun ist mein Vater nicht jemand, der lange darauf wartet, bis man ihn bittet. Er setzte sich mit dem türkischen Karatekader in Verbindung – und startete fortan für die Türkei. 

Mit dem Karate kam die Selbstsicherheit. Von der Hauptschule wechselte er auf die Realschule, dann aufs Gymnasium, später studierte er Elektrotechnik an der TU Berlin. 

Bei der U21-Europameisterschaft 1985 gewann er mit dem türkischen Team den ersten Platz – gegen die Deutschen. 1987 gewann er die erste Medaille bei den Herren für die Türkei und wurde Dritter bei den World Cups. Bei der WM 1992 in Granada gewann er Gold im Einzel, bei der WM 1994 in Kairo Gold im Team – die aus der Türkei angereisten Fans trugen ihre Helden auf den Schultern durch die Halle. 

Er war damals ziemlich bekannt, denn Karate hat einen ganz anderen Stellenwert in der Türkei. Gewann das Nationalteam ein bedeutendes Turnier, dann las man darüber in den großen Tageszeitungen. 

Als er 1992 als frisch gekürter Weltmeister in Istanbul landete, war der Empfang pompös. Karateschulen standen Spalier, der Staatspräsident schüttelte ihm die Hand, es gab Blumen, man schenkte ihm ein Haus, die Zeitungen titelten, die Abendnachrichten berichteten. 

Doch irgendwann wurden ihm das ständige Reisen und die wochenlangen Trainingslager in der Türkei zu viel. Er hatte eine Familie in Berlin, er hatte dort einen Job als Elektroingenieur, und so beschloss er, sich 1996 in Deutschland einbürgern zu lassen. Er wechselte ins deutsche Nationalteam, das war damals möglich, und gewann noch einmal etliche Medaillen für Deutschland. Vor allem aber wurde er Trainer. 1999 übernahm er die Leitung des SC Banzai und gründete ihn neu in Kreuzberg. Genau das Jahr, in dem ich mit Karate begann. 

Ich wurde 1991 geboren und bin von klein auf mit Karate aufgewachsen. Als Kind durfte ich manchmal zuschauen, wenn mein Vater Trainings gab. Zwischendurch haben die Kämpfer mit mir gespielt und Karateübungen mit mir gemacht. Am Ende bekam ich einen Eiweißriegel geschenkt und durfte ihn vernaschen. 

Mit sechs Jahren habe ich dann aber mit Tennis angefangen. Karate kannte ich ja schon. Warm geworden bin ich mit Tennis nicht, ich nahm Karate dazu, bis mir eines Tages mein Vater sagte, da war ich acht: Wenn ich erfolgreich sein wolle, müsse ich mich entscheiden. Entweder Tennis oder Karate. Wenn ich beides machte, dann bleibe beides ein Hobby. 

Ich habe mich für Karate entschieden. Nicht lange, da packte mich der Ehrgeiz: Ich wollte genauso erfolgreich sein wie mein Vater. 

Bald stand mein erstes richtiges Turnier an, die Berliner Meisterschaften. Einerseits war ich super aufgeregt, andererseits noch ein Kind und habe draußen vor der Turnhalle Fangen gespielt. Als ich aufgerufen wurde, rannte mein Cousin los, um mich zu suchen, fand mich draußen und holte mich rein. Dort stand dann mein Vater am Rand der Matte und gab mir Tipps. Das war cool, ich habe prompt gewonnen – und gewann die Berliner Meisterschaft. 

Mit zwölf wurde ich zum ersten Mal Deutsche Meisterin, mit 18 wurde ich ins deutsche Nationalteam berufen. Das war für mich der Zeitpunkt, an dem ich mich entscheiden musste – sollte ich für Deutschland starten oder für die Türkei? 

Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich hänge an der Türkei, dort liegen die Wurzeln meiner Familie. Und ich hänge an Deutschland, hier bin ich geboren und aufgewachsen und zur Schule gegangen. Als türkische Nationalathletin würde ich Geld verdienen, müsste aber monatelang dort sein, um Trainingslager zu besuchen. Wie sollte ich das mit meinem Studium in Berlin vereinbaren? Am Ende entschied ich mich, für Deutschland anzutreten – und ließ mich meinerseits einbürgern. 

Als Kind habe ich nicht jeden Tag trainiert, sondern zwei, drei Mal pro Woche. Mit 14 wurde es mehr, ab da habe ich alle zwei Tage ein Doppeltraining absolviert. Mehr muss nicht sein. Karate ist nicht Fußball oder Leichtathletik. Ich hatte Gegnerinnen, die haben drei Mal täglich trainiert und waren auch nicht besser. 

Unsere ganze Familie ist verrückt auf Karate, und unser Haus steht voller Pokale. Meine beiden jüngeren Schwestern waren mindestens genauso motiviert wie ich. Beide sind momentan im deutschen Nationalteam und kämpfen ebenfalls auf Europa- und Weltmeisterschaften, beide studieren. 

Seden, meine jüngste Schwester, ist die Verrückteste von allen. Einmal haben wir sie vom Kindergarten abgeholt, sie war vielleicht fünf, und haben ihr zum Spaß gesagt: Wir fahren nicht zum Training, sondern nach Hause. Da hat sie angefangen zu heulen vor Enttäuschung, so erpicht war sie darauf zu trainieren. 

Ein anderes Mal, sie war kaum älter, hat sie gesagt, sie wolle neun Stunden pro Woche trainieren, wie die Ukrainerinnen, von denen sie gehört hatte. Als sie wenig später ihr erstes Turnier gewann, konnte sie sich nicht wirklich freuen, denn: „Die Ukrainerinnen waren nicht dabei.“ 

Klar, dass mein Vater auch meine Schwestern coacht, genau wie alle Leistungsträger aus dem Verein. Manche scherzen, er sei der Schrecken der Kampfrichter, weil er so leidenschaftlich gegen in seinen Augen unkorrekte Entscheidungen eintritt. Wobei er nie laut oder wütend wird. Aber er schafft es immer wieder, mit Charme, Ausdauer und eiserner Beharrlichkeit seinen Willen durchzusetzen. 

Rund 400 Mitglieder hat der SC Banzai heute, viele von ihnen haben internationale Wurzeln. In der Fabriketage steht alles voller Pokale, mehr als zehn Kämpferinnen und Kämpfer haben WM- und EM-Medaillen gewonnen, das hat kein anderer Verein in Deutschland geschafft. Dreimal wurde der SC Banzai vom Deutschen Olympischen Sportbund für seine Jugend- und Integrationsarbeit mit dem Grünen Band ausgezeichnet. 

Eines Tages fiel meinem Vater auf: Auf große Turniere zu fahren ist teuer, laden wir doch die anderen zu uns ein. So entstand 2005 der Banzai-Cup, der inzwischen 1.500 Kämpferinnen und Kämpfer aus aller Welt anzieht, eines der großen internationalen Turniere. Das australische Nationalteam reist an, Indonesien war dabei, die Türkei und Südafrika. 

2017 habe ich meine Karriere beendet. Ich hatte mich an der Leiste verletzt und musste operiert werden. Vielleicht hätte ich danach wieder beginnen können, aber es wäre riskant gewesen. Und, ganz ehrlich, zum Beruf eignet sich Karate nicht. Man kann in Deutschland nicht davon leben. Es ist ein wundervolles Hobby, es prägt und formt dich, aber dann musst du weiterziehen. 

Ich blicke auf eine erfolgreiche Karriere zurück: Ich habe unzählige Turniere gewonnen, war 2011 und 2014 Vizeweltmeisterin, 2017 bin ich Vizeeuropameisterin geworden. Zweimal kam ich bei der Wahl zu Berlins Sportlerin des Jahres auf den zweiten Rang. 

Die Silbermedaille, Sie sagen es. Ich bin stolz darauf. 

2012 begann ich mein BWL-Studium an der Humboldt-Uni. Und hatte seither auf Turnieren immer meine Lehrbücher dabei, um mich im Zug, im Flugzeug, in der Halle, im Hotelzimmer auf meine Prüfungen vorzubereiten. Dieses Jahr beende ich meinen Master. Klar – Leistungssport plus Studium, das war manchmal ziemlich anstrengend. Aber der Kampfsport lehrt Durchhaltevermögen. 

Inzwischen bin ich in meiner Freizeit selbst Trainerin beim SC Banzai. Ich liebe es, Kinder anzuspornen, gemeinsam ihre Ziele zu erreichen. Ihnen die Grundwerte des Karate mit auf den Weg zu geben: Respekt vor dem Gegner, Disziplin, Selbstbewusstsein und Fairness – Werte, die gerade in Berlin wichtig sind, wo so viele verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Ich habe oft erlebt, wie gut sich Kinder entwickeln, wenn sie beim Karate Disziplin und Konzentration lernen, umgehen lernen mit Sieg und Niederlage. 

Bei uns gibt es viele Sportlerinnen, die bedeckt trainieren. Das hat nichts damit zu tun, dass ihre Familien besonders religiös oder streng sind. Nein, es ist ihre Entscheidung, und es ist ihr gutes Recht. Jede soll sich so kleiden, wie sie will. Was ich überhaupt nicht okay finde: wenn Frauen, die sich bedeckt kleiden, benachteiligt werden. 

2018 habe ich angefangen, eine Mädchengruppe zu unterrichten für diejenigen, die sich in einem gemischten Kurs nicht wohlfühlen. Ich möchte der nachkommenden Generation etwas zurückgeben und kann alle Eltern nur dazu ermutigen, ihre Kinder für den Sport zu begeistern. 

Ich selbst habe nie Diskriminierung erlebt. Vielleicht liegt es daran, dass ich eine Frau bin. Ich habe es ein einziges Mal erlebt, dass sich in der Schule ein Kreis um mich gebildet hat und alle riefen, ich solle es dem Jungen zeigen. Er griff mich aus Spaß an, also habe ich ihn aus Spaß zu Boden gefegt. Und damit hatte sich die Angelegenheit erledigt. 

Mein Mann hatte da ganze andere Probleme. Er hatte in der sechsten Klasse die besten Noten auf seiner Grundschule in Steglitz. Viele sind damit nicht klargekommen. Lehrer fragten ihn: Willst du wirklich aufs Gymnasium? Und legten nahe: Das schaffe er sowieso nicht. Weil er manchmal lauter auf dem Schulhof war, was doch wohl normal bei Kindern ist, hat man versucht, ihn von der Schule zu werfen. 

Meinen Mann, Mehmet Bolat, und mich verbindet viel: Auch er war jahrelang in der Karate-Nationalmannschaft und kennt den Spagat zwischen Studium und Leistungssport. Heute ist er Wirtschaftsingenieur und arbeitet als Projektmanager. Viele Wettkämpfe haben wir gemeinsam erlebt, uns verbinden die gleichen Werte und die Leidenschaft für unseren Sport. 

Meine Eltern haben Wert darauf gelegt, dass wir unsere türkischen Wurzeln nicht vergessen. Daheim wurde bei uns mal Türkisch, mal Deutsch geredet, und im Urlaub sind wir oft in die Türkei gefahren. Das war superschön – auch deshalb, weil mein Vater dort so viele Menschen kennt und wir überall ein Zuhause hatten. 

Karate hat uns geprägt. Es ist eine Brücke zwischen den Kulturen, ein Motor der Integration, es hilft dir, über dich selbst hinauszuwachsen.   
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