Ali Aslan

„In den Gängen des Bundesinnenministeriums war ich damals eine Rarität“

Er studierte gemeinsam mit König Felipe, moderiert Diskussionen mit Bill Clinton oder Emmanuel Macron und war eines der Gesichter der Deutschen Welle im Ausland. Vor allem aber ist Ali Aslan ein Weltbürger – und genießt es, drei Kulturen im Herzen zu tragen.

Ali Aslan, geboren am 9. April 1972 in Istanbul, ist TV-Moderator und Journalist. Nach seinem Abitur in Hamburg zog er in die USA und absolvierte ein Bachelorstudium der Politikwissenschaft und internationalen Beziehungen an der Boston University und der Georgetown University in Washington, D.C. Sein Masterstudium der Politikwissenschaft und der Journalistik absolvierte er an der Columbia University in New York. Der international bekannte TV-Moderator und Journalist war für Sender wie CNN in Washington, D.C., ABC News in New York, Channel News Asia in Istanbul und Deutsche Welle TV in Berlin tätig. Zudem ist er weltweit als Moderator hochkarätiger Veranstaltungen gefragt.
Ich bin zweimal nach Deutschland eingewandert: mit knapp einem Jahr, im Schlepptau meiner Eltern. Und mit Mitte 30, nach anderthalb Jahrzehnten in den USA. Doch der Reihe nach.

Meine Eltern stammen aus der Südtürkei und lernten sich 1965 während ihres Studiums an der Universität Istanbul kennen. Mein Vater Hifzirrahman, Medizinstudent aus Hatay und Ältester von elf Geschwistern, und meine Mutter Nezihe, Jurastudentin aus Mersin und älteste Tochter von acht Kindern, kamen beide aus bescheidenen anatolischen Verhältnissen. 

Dass meine Großväter dennoch – oder gerade deswegen – großen Wert auf Bildung legten, ermöglichte meinen Eltern den Weg zum sozialen Aufstieg und legte den Grundstein für meine eigene Migrationsbiografie. 

Mein Vater machte sich nach seinem Studium einen Namen als begabter Arzt, während sich meine Mutter zeitgleich eine Reputation als Anwältin erarbeitete. Zwei junge, ambitionierte Menschen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnten, dass ihre berufliche und private Zukunft in einem 3.000 Kilometer entfernten Land liegen sollte. 

Meine ein Jahr ältere Schwester Ilknur und ich kamen Anfang der 70er-Jahre in der Türkei zur Welt und hätten Deutschland unter normalen Umständen wohl allenfalls als Urlaubsland kennengelernt. Doch das Schicksal und mein Vater, inspiriert durch seine weltoffene Heimatprovinz, hatten andere Pläne. 

Hatay ist mit seinen christlichen, jüdischen und muslimischen Einwohnern ein direkt an Syrien grenzender multiethnischer Schmelztiegel, geprägt von mehreren Kulturen und Sprachen. In diesem kosmopolitischen Umfeld entwickelte mein Vater bereits in jungen Jahren ein ewig währendes Fernweh und den damit verbundenen Drang, die Welt zu entdecken. 

Konsequenterweise folgte er trotz einer vielversprechenden Perspektive in der Türkei mit gerade einmal 30 Jahren einer beruflichen Offerte aus Deutschland. Meine Mutter legte infolgedessen ihre junge Anwaltskarriere eher widerwillig und nur unter der Bedingung auf Eis, sie nach einer zeitnahen Rückkehr in die Türkei wieder aufzunehmen. Es sollte anders kommen. 

Beruflich etablierte sich mein Vater in Deutschland trotz sprachlicher und kultureller Barrieren schnell und schrieb, nur zehn Jahre nach seiner Ankunft, als erster türkischstämmiger Chefarzt an einem deutschen Krankenhaus deutsche Migrationsgeschichte. Wenig später eröffnete er, auch da war er Pionier, seine Praxis in Hamburg. 

Spätestens zu dem damaligen Zeitpunkt und dem familiären Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft war eine imminente Rückkehr in die Türkei kein aktuelles Thema mehr. Wir sprachen zu Hause zwar Türkisch und verbrachten die Sommerferien stets in der Türkei, doch Deutschland war mittlerweile Lebensmittelpunkt und Heimat, allen voran für mich und meine Schwester. 

Sie absolvierte ihr Abitur in Schleswig-Holstein, während ich zeitgleich als Jugendspieler beim FC St. Pauli mein Abitur in Hamburg machte. Als torgefährlicher Mittelstürmer in der A-Junioren-Bundesliga kam ich meinem Ziel, Profifußballer zu werden, zwar recht nah, doch eine Karriere à la Özil oder Gündoğan blieb mir letztlich verwehrt, sodass sich mein Fokus auf das anstehende Studium richtete. 

Fürs Studium zog es uns auf ausdrücklichen Wunsch meines Vaters ins Ausland. Als Einwanderer mit internationalem Mindset war es ihm ein großes Anliegen, dass wir neue Sprachen und Kulturen kennenlernten und unseren geografischen Horizont erweiterten. So, wie er und meine Mutter es zwei Jahrzehnte zuvor vorgelebt hatten. Meine Schwester begann daraufhin ihr Wirtschaftsstudium in Paris und ich wenig später mein Politikstudium an der amerikanischen Boston University. 

Der Wechsel vom deutschen Norden an die US-Ostküste fiel mir mit knapp 20 Jahren alles andere als leicht. In Hamburg hatte ich ein intaktes familiäres und gesellschaftliches Umfeld. Aber das Leben beginnt, wie es so schön heißt, am Ende einer Komfortzone. Der Schritt in die USA lehrte mich, von einem Tag auf den anderen ein gewohntes, vertrautes Umfeld aufzugeben und einen Neuanfang zu starten. Eine Erfahrung, die sich noch einige Male in meinem Leben wiederholen sollte und bis heute mein vielfältiges, komplexes Verständnis von Heimat prägt.  
 


Mir fiel es nicht leicht, mich wieder an das Leben in Deutschland zu gewöhnen. Nach zehn Jahren New York hatte ich das Gefühl, das Leben finde in Zeitlupe statt. Auch vermisste ich die Freundlichkeit und Zugänglichkeit der Amerikaner.
Zwischen Hamburg und Boston liegen knapp 6.000 Kilometer, und entsprechend viele neue Eindrücke prasselten tagtäglich auf mich ein. Doch das Bachelorstudium ließ keine längere Eingewöhnungsphase zu, zumal ich neben dem anspruchsvollen Studium auch noch für die Uni-Mannschaft kickte.

Die charmante Studentenstadt Boston im US-Bundesstaat Massachusetts war ein beliebtes Ziel für internationale Studenten und führte zu großartigen Freundschaften und denkwürdigen Begegnungen, wie zum Beispiel mit dem Friedensnobelpreisträger und Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel, der an meiner Universität Philosophie und Religion lehrte. 

Nach vier erlebnisreichen Semestern in Boston und einer gewachsenen Verbundenheit mit der Stadt (Stichwort Komfortzone) wechselte ich an die renommierte Georgetown University in Washington, D.C., die weltweit als Kaderschmiede für amerikanische und internationale Politikgrößen bekannt ist. Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton zählt ebenso zu den Absolventen wie mein ehemaliger Kommilitone König Felipe von Spanien. Die amerikanische Hauptstadt konnte mit dem intimen Charme Bostons zwar nicht mithalten, doch mit seiner Nähe zum Politikbetrieb war Washington der richtige nächste Schritt für mich und letztlich auch richtungsweisend für meine spätere Berufswahl. 

Noch während meines Politikstudiums begann ich, die Basis für meine spätere Journalistenkarriere zu legen. Zunächst als Praktikant beim TV-Sender NBC News und, unmittelbar nach meinem Bachelorabschluss, als einer der wenigen nicht amerikanischen Volontäre bei CNN. Während meines Volontariats hatte ich das Glück, internationalen TV-Größen wie Talkshow-Legende Larry King über die Schulter zu gucken und von ihnen zu lernen. CNN war zu jenem Zeitpunkt der global führende Nachrichtensender, und die tägliche Arbeit in einem dynamischen, anspruchsvollen Umfeld auf höchstem Niveau war eine sehr gute Schule für meine spätere Karriere. 

Der Abschluss meines lehrreichen Volontariats markierte auch das Ende meiner Zeit in der US-Hauptstadt. Als junger UNO-Korrespondent für den prominenten amerikanischen TV-Sender ABC News begann in New York eine neue, sehr prägende und spannende Phase meines Lebens. Nach Boston und Washington war New York meine dritte, längste und auch letzte Station in den USA. 

In New York kreuzten sich auch wieder die Wege mit meiner Schwester, die nach ihrem Wirtschaftsstudium in Paris und an der New York University eine Karriere beim internationalen Wirtschaftsprüfungsunternehmen PwC begann. Bei ABC News hatte ich das große Vergnügen und Privileg, mit der amerikanischen Nachrichtensprecherlegende Peter Jennings zusammenzuarbeiten. Peter war das Aushängeschild des Senders und eine weltweit bekannte Journalistenikone, von ihm konnte ich mir viel für meine spätere Moderatorenkarriere abschauen. 

New York gilt bekanntlich als Stadt, die niemals schläft, und getreu diesem Motto begann ich parallel zu meiner Tätigkeit als Reporter am ABC-Hauptsitz in Manhattan ein Masterstudium in Internationaler Politik und Journalismus an der Columbia University, die zu den zehn besten Hochschulen der Welt zählt und an der bereits schon der ehemalige US-Präsident Barack Obama sowie Alexander Hamilton, einer der Gründungsväter der Vereinigten Staaten, studierten. 

In meine New Yorker Zeit fiel auch der 11. September 2001. Ein Tag, der die Welt veränderte und bis heute eine Zeitenwende markiert. Am Abend zuvor war ich auf dem Michael-Jackson-Konzert im Madison Square Garden und an diesem historischen Dienstagmorgen noch entsprechend übermüdet. Es war 8:46 Uhr Ortszeit, als das erste Flugzeug in das World Trade Center stürzte und ich mich nichts ahnend zeitgleich auf den Weg zur zehn Kilometer entfernten Columbia University an der Upper West Side machte. Mein Journalisteninstinkt trieb mich direkt nach den ersten Fernsehbildern Richtung World Trade Center, und so stand ich kurz nach dem Einsturz der beiden Türme in dem nur wenige Hundert Meter entfernten und komplett abgeriegelten Stadtteil SoHo. Der beißende Metallgeruch der sich vor mir auftürmenden Staubwolke ist mir bis heute gegenwärtig. Dass meine Heimatstadt Hamburg bei den Anschlägen eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hat, gab dem Ganzen noch eine weitere persönliche Note. 

Von meiner Zeit in New York mit allen Höhen und Tiefen und den zahlreichen Begegnungen mit inspirierenden Menschen aus aller Welt profitiere und zehre ich bis heute. Doch die Intensität und das hohe Tempo dieser einzigartigen Weltstadt fordern nach einer gewissen Zeit auch ihren Tribut. Es gibt ein berühmtes Sprichwort im Zusammenhang mit Amerikas größter Metropole: „Live in New York City once, but leave before it makes you hard.“ 

Also schlug ich, nach knapp zehn Jahren im Big Apple, ein neues Kapitel als freiberuflicher Europakorrespondent auf. Mit viel neuer Lebens- und Arbeitserfahrung und zwei Masterabschlüssen im Gepäck ging es nach über einer Dekade in den USA wieder zurück auf die andere Seite des Atlantiks. Nach beruflichen Aufenthalten in Barcelona und Istanbul berichtete ich während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland für diverse internationale Sender aus Berlin. Es war während dieser Zeit, dass ich den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble kennen- und schätzen lernte. Gemeinsam mit seinem Abteilungsleiter Markus Kerber überzeugte er mich, zumindest vorübergehend die beruflichen Seiten zu wechseln und als Politik- und Medienberater im Bundesinnenministerium (BMI) anzuheuern. 

Meinen Wechsel von einem amerikanischen TV-Sender in New York zu einem deutschen Bundesministerium in Berlin als Kulturschock zu bezeichnen wäre eine Untertreibung. Die Arbeitswelten hätten vom Ablauf und Temperament her nicht gegensätzlicher sein können. Und auch in punkto Diversität lagen zwischen beiden Erfahrungen Welten. Von einem multikulturellen Umfeld kommend, war ich in den Gängen des Ministeriums als Person mit Migrationshintergrund eine Rarität. 

Inhaltlich war ich im BMI primär für den Bereich „Integration“ mitverantwortlich. Dies entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Denn obwohl ich in Deutschland aufgewachsen war, war ich mit dem Thema schon länger nicht mehr konfrontiert worden. In den USA war ich ohne größeres Hinterfragen „German“ oder „from Germany“. Wenn überhaupt, musste ich mich nach so vielen Jahren in Amerika selber erst wieder in Deutschland „integrieren“. 

Und auch abseits vom beruflichen Umfeld fiel es mir nicht immer leicht, mich wieder an das Leben in Deutschland zu gewöhnen. Nach zehn Jahren New York hatte ich oftmals das Gefühl, das Leben finde in Zeitlupe statt. Auch vermisste ich die in Deutschland aus meiner Sicht oft zu Unrecht als oberflächlich bezeichnete Freundlichkeit und Zugänglichkeit der Amerikaner. 

Auf meine Zeit im BMI folgten noch ein paar Jahre als Berater im Bundespresseamt und im Auswärtigen Amt, bevor ich zu meinen beruflichen Wurzeln als TV-Journalist zurückkehrte. Meine Tätigkeit für die Bundesregierung und der Blick hinter die Kulissen waren trotz anfänglicher Anpassungsschwierigkeiten sehr lehrreich und haben mein Verständnis von deutscher und europäischer Politik nachhaltig vertieft. Bei meinen gelegentlichen Auslandsvorträgen über Deutschland und Europa kommt mir diese Erfahrung bis heute zugute. 

Interessanterweise lernt man sein Heimatland im Ausland von Neuem, vielleicht sogar besser kennen. Durch die Distanz erkennt man Stärken und Defizite des eigenen Herkunftslandes noch sehr viel klarer. Durch meine Zeit in den USA habe ich eine Insider-Outsider-Perspektive auf Deutschland entwickelt, die meinen Blick auf das hiesige Geschehen bis heute beeinflusst. 

Auch die Beantwortung der beliebten Frage, woher ich komme beziehungsweise wo ich mich zugehörig fühle, ist für mich als Kosmopolit mit internationalem, multikulturellem Werdegang nicht einfacher geworden. Ich bin in Deutschland aufgewachsen und deutscher Staatsbürger, habe türkische Wurzeln und habe meine gesamten 20er- und frühen 30er-Jahre in den USA verbracht. Es ist die Kombination und Summe dieser drei sehr unterschiedlichen Länder und Kulturen, die mich als Person und Moderator ausmachen. 

Nach meinem zwischenzeitlichen Ausflug in die deutsche Politik folgte ich dem Ruf von Deutschlands internationalem Sender, der Deutschen Welle, die Moderation der weltweit ausgestrahlten englischsprachigen TV-Talkshow „Quadriga“ zu übernehmen. Die Sendung wurde in gut 200 Ländern ausgestrahlt und hatte eine globale Reichweite von über 100 Millionen Zuschauern. 

Parallel zur TV-Moderation etablierte ich mich zunehmend als international gefragter Moderator hochrangiger Konferenzen, unter anderem diverser UNO-, EU- und G20-Gipfel. Die regelmäßige Moderation renommierter globaler Veranstaltungen mit Größen wie Bill Clinton, Emmanuel Macron, Justin Trudeau, Christine Lagarde und Melinda Gates trug, neben meiner TV-Show, maßgeblich zur Erhöhung meines internationalen Bekanntheitsgrades und kosmopolitischen Selbstverständnisses bei. 

Dass ich als einer der wenigen international bekannten deutschen Moderatoren auch stets ein Repräsentant eines weltoffenen, diversen Deutschlands bin, hätte meinem Vater, auf dessen Initiative hin mein globaler Werdegang begann, zweifellos Freude bereitet. 

Er starb 2010, nur ein Jahr nachdem er seine lange, erfolgreiche Karriere als Arzt in Hamburg beendet hatte. Er war eine Quelle des Stolzes und Vorbild für viele Migranten in Deutschland und berührte mit seinem Lebenswerk viele Menschen. Bis heute erzählen mir wildfremde Personen, wie mein Vater sie inspiriert, unterstützt, ermutigt und gefördert habe. 

Es waren und sind Einwanderer wie meine Eltern, die Deutschland bereichert haben. Ihre Geschichte, ihr Mut und ihr Beitrag sind für mich und zukünftige Generationen Verpflichtung und Ansporn, ihren Weg bestmöglich fortzuführen und ihrer außergewöhnlichen und großartigen Lebensleistung gerecht zu werden.
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