Özden Terli

„Noch am selben Tag verkaufte ich mein Motorrad. Und holte mir ein Elektro-Lastenrad“

Ein türkischer Name, ein öffentlich-rechtlicher Sender, das Warnen vor dem Klimawandel: Als er zum ZDF wechselte, wurde aus den Böen der Diskriminierung ein Orkan. Na und? Özden Terli ist weiter geradeaus seinen Weg gegangen. So wie immer.

Özden Terli, geboren in 1971 in Köln, ist Diplom-Meteorologe und Journalist beim ZDF. Der ausgebildete Fernmeldeanlagenelektroniker holte sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und studierte Meteorologie an der Freien Universität Berlin. Seine Diplomarbeit erstellte er am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Bereits als Student arbeitete er bei wetter.com, später war er einer der Meteorologen des Portals. Seit 2013 arbeitet Terli beim ZDF und flicht in seine Vorhersagen immer wieder die Veränderungen im Klimasystem ein – weil die anthropogene Klimaerhitzung immer stärker das Wettergeschehen bestimmt. Als Experte für Wetter- und Klimafragen ist er unter anderem in Sendungen wie „heute“ und dem „heute journal“ zu sehen.
Als Kind habe ich „Star Trek“ geliebt. Ich träumte von Raumschiffen und fernen Welten, und in klaren Nächten saß ich auf dem Balkon unseres Wohnblocks und beobachtete die Sterne, die Planeten, den Mond. Ein Teleskop hatte ich nicht, also nahm ich das Fernglas meinen Eltern. Und tatsächlich: Wenn die Nacht besonders klar war, konnte ich einzelne Mondkrater erkennen. Und dieser Schleier – waren das die Ringe des Saturn?

Gut möglich, dass ich mich irrte. Denn das Fernglas war nicht besonders gut, und die Qualität der Luft war damals miserabel, gerade im Winter. In unserem Viertel wurde mit Kohle geheizt, entsprechend trüb war der Himmel über Köln. Ich erinnere mich an das Hochschleppen der Kohle, das Runtertragen der Asche, und je älter ich wurde, desto größer wurden meine Sorgen: über den Dreck, den wir Tag für Tag in die Luft bliesen, den sauren Regen, der die Wälder ruinierte, das Abschlachten der Robben, das Verklappen der Dünnsäure, die ganze krasse Umweltverschmutzung jener Jahre. 

 1986, ich war 14, durften wir in der Pause nicht raus auf den Schulhof. In Tschernobyl war es einige Tage zuvor zu einer Kernschmelze in einem Reaktorblock gekommen. Nun regnete es. Die Lehrer beschlossen, uns Kinder und Jugendliche vor einem möglichen Fallout zu schützen.

Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl der Geschichte: Üblicherweise hat Europa eine Westwindlage, eigentlich hätte die radioaktive Wolke Richtung Osten abziehen müssen. Doch in jenen Wochen herrschte Ostwind. Die radioaktive Wolke breitete sich über Teilen Europas aus und traf auch Deutschland. Schlagartig war die atomare Bedrohung real. 

Meine Eltern waren in den 60er-Jahren nach Köln gekommen und arbeiteten bei Ford. Alles drehte sich um Ford: Wir wohnten in den Ford-Häusern, und nicht nur meine Eltern, auch all unsere Nachbarn, die meisten Onkel, Tanten und Cousins waren Fordianer. Immer wieder hörte ich die Erwachsenen fragen: „In welcher Halle arbeitest du?“, und erfuhr, dass meine Mutter Autositze nähte und mein Vater am Band stand und Zylinder verschraubte. 

Später, als Schüler, hatte ich einen Ferienjob bei Ford und sah, mit welch harter Arbeit die Generation meiner Eltern ihr Geld verdiente. Meine Aufgabe war es, die Wasser- und Saftautomaten zu befüllen. Mit einem kleinen Elektrowagen fuhr ich von Halle zu Halle und wuchtete jeden Tag mehrere Tonne Getränkekisten. Es war ein Knochenjob, aber er machte Spaß, zumal ich unterwegs immer wieder Verwandte und Nachbarn traf. Halle R blieb mir in Erinnerung, das Druckgusswerk, wo Teile des Getriebes hergestellt wurden. Es war stickig, man konnte die schlechte Luft bei der Einfahrt in die Halle förmlich sehen. 

In jenen Jahren träumte ich davon, Forscher zu werden, weit draußen im Feld, im Eis der Antarktis oder in den Wüsten des Leeren Viertels. Ich verschlang Survivalbücher, lernte, Karten zu lesen und einen Kompass zu bedienen. Wollte mich im Schlauchboot den Walfängern entgegenstellen und im Regenwald bedrohte Arten retten. 

Mein Alltag kam da nicht ganz mit: Nach der Realschule machte ich eine Lehre als Fernmeldeanlagen-Elektroniker. Das hieß Kabel verlegen, Telefone reparieren, Telefonanlagen installieren und programmieren. Danach machte ich mein Fachabitur und schrieb mich an der Fachhochschule Köln im Fach Nachrichtentechnik ein. Ich kam gut vorwärts, vor mir lag eine Laufbahn als Ingenieur. Aber ich fühlte mich merkwürdig leer. Mein Herz hing nicht daran. 

Eines Nachmittags war ich zu Hause und las mich durch den Videotext, als ich über eine Meldung stolperte: Wissenschaftlerinnen und Meteorologen warnten vor einer weiteren Erwärmung des Planeten, vor dem „Klimawandel“. Dieser Begriff war nicht neu, aber ich hatte mich wenig damit beschäftigt. Ich begann, mich in das Thema Meteorologie und Klima einzuarbeiten, und wusste bald: Das ist es. Das ist das Thema, nach dem ich so lange gesucht hatte. In dem alles zusammenläuft: mein Forscherdrang, mein Interesse am großen Ganzen, mein Wunsch, beizutragen zum Schutz der Umwelt. 

Ich brach mein Studium an der Fachhochschule ab und stellte einen Antrag am Köln-Kolleg, um das Abitur nachzuholen. 1997 hatte ich mein Abi in der Tasche. Ich war 26, packte meinen kleinen Hausstand zusammen und zog nach Berlin, um dort Meteorologie zu studieren. 

Meine erste Wohnung lag in Neukölln. Die Freie Universität war in Dahlem, das waren gute zehn Kilometer pro Strecke, ich legte sie täglich zurück mit meinem selbst gebauten Liegerad. Das war meine Leidenschaft in jenen Jahren: leichte, immer ausgefeiltere Liegeräder zu entwerfen und zu konstruieren. Den ersten Rahmen baute ich noch während meiner Kollegzeit aus Styropor, Kohlefaserplatten und Epoxidharz. Gar nicht so einfach, damals an Information zu kommen, das heutige Internet gab es noch nicht, nur Mailboxen, Newsgroups und Mailinglisten, in die ich mich mit meinem unendlich langsamen Modem einwählte, um Kontakt aufzunehmen mit der weltweiten Liegeradszene. 
Wird der Sommer in der Arktis ungewöhnlich warm, beginnt der Jetstream zu „eiern“ – ein normaler Vorgang, der allerdings durch die Erhitzung im Rahmen der Klimakrise heftiger wird. Die Folge: ungewöhnlich heiße und trockene Sommer.
Fünf Liegeräder aus Kohlefaser habe ich in jenen Jahren gebaut und sie immer weiter verfeinert, ultratief, ultraleicht. An die 1.500 Mark kosteten Teile und Material pro Renner, aber ein gleichwertiges Liegerad hätte im Laden locker das Sechsfache gekostet. Meine Räder waren keine Schönheiten, aber sie waren flink, man erreichte mit ihnen ganz entspannt einen Schnitt von 35 Kilometern pro Stunde. Eine Weile lang nahm ich sogar an Liegeradrennen teil, und zwei Mal bin ich über die Alpen gefahren.

Bei der ersten Überquerung war mein Liegerad gut, aber Zelt und Schlafsack kamen leider gar nicht mit. Nachts lag ich wach und fror – ich hatte an der falschen Stelle gespart. Im zweiten Urlaub hatte ich ein besseres, voll gefedertes Rad und eine viel bessere Ausrüstung. Beide Urlaube waren grandios: Einfach losfahren, nicht wissen, wo man abends landet, erst die Pässe hinaufschwitzen, dann die Serpentinen hinunterrasen und schließlich in Italien ankommen – ich habe es geliebt. 

Das Meteorologiestudium war anspruchsvoll. In den ersten Semestern unterschied es sich kaum von einem Physikstudium, erst im Hauptstudium wurde es deutlich „meteorologischer“. Ich belegte Paläoklimatologie, Medienmeteorologie und im Nebenfach Astrophysik, vertiefte mich in Synoptik, also Wettervorhersage, und arbeitete nebenher im Wetterturm der Freien Universität. Ich las dort die Instrumente ab, die diversen Thermometer, die Wind- und Regenmesser, zeichnete Karten, versorgte Kunden mit Daten, lernte Wissenschaftskommunikation. Eine prägende Zeit. 

Meine Diplomarbeit war eine echte Forschungsarbeit. Sie trug den sperrigen Titel: „Atmosphärischer Transport von Saharastaub über dem Atlantik – Lidar-Beobachtungen an Bord des Forschungsschiffes Polarstern“. Und tatsächlich: Im Oktober 2005 durfte ich auf dem Helikopterdeck des großen deutschen Forschungsschiffes den Container mit meinem Experiment aufbauen und bezog mittschiffs eine Kabine. Die Forschungsreise begann in Bremerhaven und sollte in Kapstadt enden, nach gut sechs Wochen auf dem Atlantik. 

Tag und Nacht tastete unser Laser Wolken und Luft ab, um Saharastaub nachzuweisen – und Tag und Nacht mussten ein Ingenieur und ich darauf achten, dass die Geräte aufzeichneten. Meine Schicht ging bis nachts um drei, dann war er dran. Auf der Höhe von Nordafrika maßen wir zum ersten Mal Saharastaub, das Sammeln der Daten begann. Es funktionierte. 

Weit, weit draußen fuhren wir durch den Südatlantik. Wochenlang sahen wir keine Vögel und begegneten keinem anderen Schiff. Die Polarstern war der Mittelpunkt unseres Lebens, es gab nichts anderes außer diesem Schiff, unser Schiff war die Welt. Ich verstand plötzlich, warum Seeleute ihr Schiff so sehr lieben, dass sie davon reden, als seien sie mit ihm verheiratet. 

Immer wieder hat es Forscherinnen und Forscher auf dem Schiff gegeben, die so seekrank wurden, dass sie ihre Experimente abbrechen mussten. Mir ist zum Glück nur einmal schlecht geworden. Es war Sturm, wir tranken Bier vorn beim Fahrtleiter, der Seemannsgarn erzählte – von der Monsterwelle etwa, die einmal mit unglaublicher Wucht auf das Schiff geprallt war. Die Polarstern ist ein Eisbrecher und hat einen schweren Bug, darum nickt sie beim Überqueren der Wellen stärker als andere Schiffe. Das Bier, der Sturm, das Nicken – das war zu viel, ich eilte in meine Mittschiffkabine, die deutlich ruhiger dalag, und haute mich in meine Koje. 

Zurück in Berlin, machte ich mich an die Auswertung der Daten. Mit dem Liegerad flitzte ich jeden Tag nach Potsdam ins Alfred-Wegener-Institut. Es liegt auf dem historischen Telegrafenberg, dort, wo einst Albert Einstein forschte. Jeden Morgen, wenn ich das Gelände betrat, war ich stolz, auf seinen Spuren zu wandeln. Fast zwei Jahre dauerte die Auswertung der Daten, ich hätte eine Doktorarbeit daraus machen können, aber es kam anders. 

Schon während des Studiums hatte ich bei wetter.com gearbeitet, dem Wetterkanal von ProSiebenSat.1. Nun unterschrieb ich einen Vertrag und zog wenig später um in die Zentrale nach München. Ich schrieb Wetterberichte und Vorhersagen. Wir waren ein gutes Team, hatten viele Freiheiten und dachten uns alles Mögliche aus. Erfanden das „Motorradwetter“, nahmen uns mit einer „365-Tage-Vorhersage“ auf die Schippe, flochten das Thema Klimawandel ein in unsere Artikel. 

Bis mich eines Tages meine Chefin ohne viel Wenn und Aber vor die Kamera stellte. „Du kannst gut reden“, war ihre Begründung, „außerdem bist du eingeteilt.“ Widerspruch war sinnlos, also habe ich mir rasch einen Text geschrieben und ihn vom Prompter abgelesen, während ich in die Kamera blickte. Es war die Hölle. Erst danach bekam ich ein Kameratraining und wurde allmählich sicherer im Moderieren. 

2013 wechselte ich zum ZDF, wir zogen um nach Mainz. Ich begann beim „Mittagsmagazin“, das ist eine vergleichsweise kleine Bühne, aber sie fordert dich: Die Strecke ist lang, rund drei Minuten, und es wird live gesendet, das kann maximal schiefgehen. Ich spürte meine Verantwortung als Meteorologe: Millionen Menschen schauten mir zu, und ich musste ihnen sagen, wie gefährlich etwa ein Sturm werden würde. Auch hier setzte ich immer wieder Klimathemen. 

Ich habe in meinem Leben immer wieder leichte Böen der Diskriminierung erlebt – doch als ich begann, das Wetter im ZDF zu moderieren, wurde daraus ein Orkan. Ein türkischer Name, ein öffentlich-rechtlicher Sender, das Warnen vor dem Klimawandel: Ich erfüllte drei Feindbilder auf einmal. Plötzlich stand ich im Kreuzfeuer von allen möglichen Hetzern. Eine Weile lang hat es mich irritiert, ich habe sogar versucht zu widersprechen, aber dann habe ich es nur noch ignoriert. 

Überhaupt habe ich mich nie von dummen, verletzenden Bemerkungen aufhalten lassen und mein Ding durchgezogen. Je mehr Energie du auf das verwendest, was andere sagen, desto mehr hält es dich auf. Meine Meinung. 

Beim ZDF habe ich immer wieder Daten der NASA und von Copernicus genutzt, dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm, um die Erwärmung des Planeten zu dokumentieren. Denn Wetter und Klima gehören mittlerweile zusammen, es lässt sich nicht mehr trennen. Die Klimakrise hat begonnen. Das kann niemand abstreiten, ohne sein eigenes Unwissen zu entblößen und sich als irrationaler Klimaleugner zu entlarven. Spätestens seit 2018 sind die Klimafolgen allseits sichtbar: Brände in Australien und Kalifornien, das beschleunigte Abschmelzen der Eispanzer, weltweite Dürren und historisch starke Hurricanes zeigen, welch Zerstörungskraft der Klimawandel entfesseln wird. 

Das Wetter ist in Deutschland mittlerweile oft „meridional“ geprägt, das heißt, die Luft strömt entweder aus südlicher oder nördlicher Richtung heran. Das bedeutet: Extremwetter sind möglich. Wird der Sommer in der Arktis ungewöhnlich warm, beginnt der Jetstream zu „eiern“ – ein normaler Vorgang, der allerdings durch die Erhitzung im Rahmen der Klimakrise heftiger wird. Die Arktis hat sich deutlich schneller erhitzt als der Rest des Planeten. Wir haben ungewöhnlich heiße und trockene Sommer – und Dürren wird es bei uns noch häufig geben. 

Auch unsere Winter verändern sich, weil auch der Polarwirbel zu eiern beginnt. Klassischerweise herrscht im Winter eine kräftige Westströmung vor; kommt der Polarwirbel aus dem Takt, dann strömt wochenlang eisige Luft zu, so wie im Winter 2020/21 geschehen. Das System springt zwischen „Eiern“ und extremer Westwindlage. Auch das eine Folge der Klimakrise. 

Das gesamte System ist verändert, und diese Unwucht wird sich dynamisch fortsetzen. Noch nie stand die Menschheit vor einer so epochalen Veränderung. Die Klimakatastrophe doch noch abzuwenden, diese Aufgabe betrifft alle, sie macht Partei- und Ländergrenzen bedeutungslos. Regierungen in aller Welt müssen jetzt schnell und effizient handeln, damit die Generationen nach uns eine faire Chance haben. Diese Generation gibt es bereits. Es sind unsere Kinder! 

Viele Jahre lang bin ich leidenschaftlich gern Motorrad gefahren. Es gab Tage, an denen ich mich in München spontan auf meine Yamaha gesetzt habe und in die Dolomiten gefahren bin. Ich hatte eine Rennmaschine und bin immer recht sportlich gefahren. Bei aller Vorsicht: So manches Mal haben Zentimeter darüber entschieden, ob ich mich abends im Krankenhaus oder in meinem Bett wiederfand. 

2017 stand ich an einer Tankstelle, durch den Zapfhahn gluckerte das Benzin in mein Motorrad, als ich mich plötzlich fragte: Was mache ich hier eigentlich? Ohne Not durch die Gegend fahren und Öl verbrennen? Und warum? Und beschloss: Das war’s. Noch heute verkaufst du dein Motorrad. 

Genau das habe ich getan. Noch am selben Tag war das Motorrad weg. 

Ich habe mir von dem Geld ein Elektrolastenrad gekauft, mit großer Box, in der meine Kinder sitzen können. Es war die richtige Entscheidung. 

Eine neue Zeit bricht an, eine Aufbruchstimmung, wie ich sie noch nie gespürt habe. Ich hoffe nur, dass es gelingen wird – die große Transformation in eine solare Zukunft. Trotz aller Widerstände. Eine andere Chance haben wir Menschen, hat die Menschheit nicht. 
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